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Team HandbALL | www.handball-world.com (Ralf Steinhorst) | 25.02.07
Wer sich nach dem Sieg der HSG Augustdorf/Hövelhof über den SV Anhalt Bernburg in der Witex-Halle befand, durfte sich verwundert die Augen reiben: sollte er sich tatsächlich bei einem Verein befinden, der sich abgeschlagen auf dem letzten Platz befindet, der aber trotz Sieg definitiv seine letzte Zweitligasaison spielt? In Augustdorf wurde der dritte Saisonsieg wie eine Meisterschaftsfeier gefeiert, die Atmosphäre glich einer Karnevalsfeier. Nach der Niederlagenserie der letzten Wochen im sportlichen Bereich und dem am Donnerstag eingeleiteten Insolvenzverfahren wirkte der verdiente Sieg über die Anhaltiner wie ein Ventil auf die zur Zeit leidgeplagten Augustdorfer Handballseelen. Schon vor dem Spiel zeigte sich, das die Einleitung des Insolvenzverfahrens die Region aufgerüttelt hat. So konnten die Augustdorfer Verantwortlichen wieder mehr Zuschauer als üblich in der Halle begrüßen. Für beide Teams sah die mentale Vorbereitung auf das Spiel alles andere als optimal aus. Die Augustdorfer Spieler haben zwar die Bestätigung, dass bis Ende März der Spielbetrieb gesichert ist – aber was wird dann? In Bernburg hat der Vorstand just in diesen Tagen die weitere Zusammenarbeit mit drei Stützen des Teams, dem Trainergespann Sven Liesegang und Heiner Benecke sowie Olympiasieger Dimitri Filippov, über die Saison hinaus abgelehnt. Nicht unberechtigt stellte sich vor Spielanpfiff die Frage, welches Team besser mit seiner Situation wird umgehen können, wer wird mehr Verunsicherung auf der Platte zeigen?
Zunächst schien es, als seien es die Anhaltiner, die die stärkeren Nerven haben würden. Gleich in der ersten Minute brachte Dennis Krause (SVA) sein Team in Führung. Diese konnten die Bernburger dann in den ersten Minuten auf zeitweise zwei Tore ausbauen, aber dabei blieb es dann auch. In der 8. und 9. Minute egalisierten Christaki Kolios und Dennis Gote die Bernburger Führung. Hat das ansonsten zurückhaltende heimische Publikum ihr zunächst verunsichertes Team schon toll unterstützt, spürten nun die HSG-Anhänger, dass es nun an der Zeit war, ihr Team vollends zu puschen. Der Funke sprang auf das Feld über, plötzlich schien sämtlicher Druck von den Augustdorfer Spielern abzufallen. Auch Dank eines überragenden Rene Selke im Tor begann nun ein Siegeszug der Truppe von Diethard von Boenigk. Ganze zehn Minuten, zwischen der 12. und 22. Minute, versuchten die Bernburger Augustdorfs Keeper Rene Selke zu überwinden – ohne Erfolg. Zwar erzielten die Augustdorfer in dem Zeitraum auch nur drei Tore – das reichte aber, um sich zunächst mit vier Toren ein kleines Polster anzulegen. Dabei leisteten sich die Lipper noch den Luxus, in der 14. Minute einen 7-Meter durch Christaki Kolios zu vergeben – der Augustdorfer setzte seinen Versuch neben das Tor von Jan Resimus. Zwischenzeitlich zog die Bernburger Bank in der 16. Minute die „Time-Out“-Karte – allerdings ohne nachhaltigen Erfolg. In der 25. Minute dann versuchte Christian Grunow den zweiten Augustdorfer 7-Meter im Tor unterzubringen, doch dieses Mal vereitelte Bernburgs Torwart Jan Resimus die Möglichkeit. Zu diesem Zeitpunkt lag die HSG allerdings schon mit 12:7 in Front, so dass dieser Fehlwurf nicht besonders ins Gewicht fiel. Das Publikum nahm es hin und unterstützte das Team weiter. Die Auszeit Augustdorfs in Minute 29:39 hatte lediglich statistischen Wert – kurze Zeit später ging es mit 15:10 in die Pause.
Nach der Pause bot sich das gleiche Bild: die Augustdorfer durften zunächst drei Mal einschenken, bevor Dimitri Filippov auf Bernburger Seite mit einem 7-Meter Doppelpack in der 35. Minute kontern konnte. Apropos Dimitri Filippov: er setzte alle seine 7-Meter in die Augustdorfer Maschen und trug auf diese Weise zu vier Bernburger Toren bei. Auch Ronny Krüger, der bei einem der Strafwürfe für Rene Selke ins Augustdorfer Tor kam, konnte die Optimalquote Filippovs nicht verhindern. Beim Stand von 18:10 in der 34. Minute kam allerdings der „Augustdorfer-Motor“ ins Stocken: hatte das Team plötzlich Angst vor der Chance, seit Oktober letzten Jahres ein Spiel zu gewinnen? Fast schien es so, die Ostwestfalen blieben für sechs Minuten ohne Torerfolg, die Bernburger konnten den Torabstand von acht auf vier verkürzen. Ab der 41. Minute fingen sich die HSGer wieder, zur 44. Minute wurde der Abstand wieder auf sechs Tore zum 21:15 ausgebaut. Damit war dann der zwischenzeitliche Schwung der Bernburger verebbt. In der 47. Minute zog HSG-Coach Diethard von Boenigk die grüne Karte – personaltechnisch nutzte Sven Liesegang auf Bernburger Seite die Auszeit für einen Torwartwechsel: Andreas Böhm löste den glücklosen Jan Resimus zwischen den Pfosten ab.
Die restlichen Spielminuten konnten die HSG nicht mehr in Gefahr bringen. Bernburg konnte seine teilweise guten Möglichkeiten nicht nutzen. So setzte Dennis Saleh einen Tempogegenstoß neben das Tor, einen Zweiten konnte HSG-Keeper Rene Selke parieren. Und je mehr klar war, das der HSG der Sieg nicht mehr zu nehmen war, desto mehr kamen die HSG-Fans in Partystimmung. Allerdings konnten Dennis Saleh und Robert Lux in der Schlussminute das Endergebnis auf ein erträgliches 28:24 verkürzen. Somit hatten die Augustdorfer im Spiel der „Krisen-Teams“ am Ende die besseren Nerven behalten. War vor dem Spiel von Augustdorfer Seite die Begegnung zum „Bewerbungsspiel“ hochstilisiert worden, muss man dem Boenigk-Team das Kompliment machen, die Aufgabe nicht in „Einzelbewerbungen“ bewältigt, sondern als Mannschaft an einem Strang zu gezogen zu haben.
Die Augustdorfer konnten bis auf Nils Schmidt auf den gesamten Kader zurückgreifen; den Bernburgern fehlte Uwe Mäuer.
Nach dem Spiel fand dann im Gastronomiebereich der Witex-Halle eine Art Doppel-Pressekonferenz statt, in der sich zunächst die beiden Trainer zum Spiel äußerten. Anschließend gaben die Bundesliga-Marketing Geschäftsführer Hermann Ludewig und Ralf-Peter Kaiser den aktuellen Stand zur finanziellen Situation der Bundesliga-Marketing GmbH & Co. KG und der sich daraus ergebenden Perspektive bekannt.
Sven Liesegang (Trainer SVA Bernburg):
„Es war eine sensationelle Stimmung hier in der Halle. Ähnlich wie bei uns vor einer Woche in Bernburg. Ich gratuliere den Augustdorfern zum verdienten Sieg. Wir haben die Punkte nicht gern hier gelassen. Aber Ihr habt sie mehr nötig als wir.“
Diethard von Boenigk (Trainer HSG Augustdorf):
„Ich habe schon vor zwei Wochen gesagt: Es macht mehr Spass zu gewinnen als zu verlieren. Wir haben unsere Leistung aus dem Spiel in Ahlen weiter fortgesetzt. Es geht nur über Leistung, Kampf und guter Defensive. Vladimir Stoukalin war mit seinen Schlagwürfen phänomenal. Ob er wohl immer wusste, wo die hingehen sollten? Egal, wir müssen das, was wir können, einfach anwenden.“
Hermann Ludewig (GF Marketing GmbH & Co. KG):
„Wir freuen uns, dass unser Insolvenzverwalter Herr Oliver Schulte heute unter den Zuschauern in der Halle war. Das zeigt uns, dass er uns engagiert helfen will. Herr Schulte hat uns gegenüber heute noch einmal bestätigt, dass wir den Spielbetrieb zumindest bis Ende März weiterführen können. Auch die Geschäftsführung wird, wie gehabt, weiter machen. Wir haben begründete Hoffnung, die Serie zu Ende spielen zu können. Am kommenden Samstag soll die HSG beim SC Magdeburg II antreten. Allerdings ist der Termin Seitens der Magdeburger noch nicht endgültig gesichert. Sollte das Spiel wie geplant stattfinden, wird der Fanclub den Bus zu diesem Auswärtsspiel bezahlen. Wir freuen uns sehr über dieses Engagement. Wir können also wieder etwas optimistischer in die Zukunft blicken. Vielleicht braucht man im Leben einen Tiefpunkt, damit es wieder nach oben geht.“
Rolf-Peter Kaiser (GF Marketing GmbH & Co. KG):
„Wir haben in den letzten Tagen gesagt, dass auch ein Ausfall von Sponsoren die Ursache für unsere derzeitige Lage ist. Gleichzeitig müssen wir aber auch deutlich darauf hinweisen, dass das nicht unseren Hauptsponsor betrifft. Ich möchte an Sie alle hier appellieren: bringen Sie zu den nächsten Heimspielen möglichst viele Freunde und Bekannte mit. Es würde uns sehr weiterhelfen!“
Stephan Neitzel (Team-Manager gegenüber handball-world.com):
„Es ist schon toll, was wir derzeit an Solidaritätsbekundungen erfahren. Da ist zum einen die Zuschauerzahl und die einmalige Stimmung heute in der Halle, die wir so lange nicht erlebt haben. Zum anderen habe ich eben gehört, dass in den nächsten Tagen eine Aktion starten soll, in denen vor Ort Geld für den Verein gesammelt werden soll. Die Krise der Handballer schweißt die Region richtig zusammen.“